LIVEBERICHT

CHRISTMAS BALL :: Geballte Ladung elektronischer Energie

Festivalbericht

Christmas Ball am 26.12.2011 im Capitol Hannover
mit Front 242, Combichrist, Hocico, The Klink und Solitary Experiments
Fotos by Michi / More Pics by Oliver Garrandt @ www.dark-faces.com/wordpress/?page_id=52

Hannover ist dieses Jahr der Startpunkt der bereits traditionellen Christmas Ball Festival Reihe. Auch für mich hat dieser Event schon länger traditionellen Charakter und ist der Ausklang des laufenden Konzertjahres, welches dieses Jahr gefühlt viel zu unspektakulär verlaufen ist. Da bietet sich der Christmas Ball natürlich nochmal an, das Jahr versöhnlich abzuschließen, immerhin sind es namhafte Akts, die heute Hannover aufsuchen. Man muss ja nicht mehr viel sagen, wenn sich die mexikanische Electroband HOCICO nur an Platz drei der Setlist einreiht und auch die momentanen Überflieger COMBICHRIST nicht als Headliner geplant sind. Da kann ja nur noch jemand ganz Großes dabei sein, um dem Hannoveraner Publikum einzuheizen. Und mit den belgischen EBM Göttern FRONT 242 ist das auch der Fall. Bereits vor 2 Jahren waren Jean-Luc De Meyer und seine Mannen im Capitol und haben eine tolle Show abgeliefert, was die Vorfreude auf den heutigen Auftritt natürlich auf einen sensationell hohen Level treibt. Als weitere Supportbands stehen heute SOLITARY EXPERIMENTS und die Post-Industrial Legende THE KLINIK auf der Bühne des Capitols.

Wer sich an diesem Abend an dieZeitabgaben gehalten hat, die im Internet zu lesen waren, könnte ziemlich früh die erste Enttäuschung erfahren haben, denn obwohl der Konzertbeginn für 20 Uhr angegeben ist, spielen gerade die Berliner Elektros von SOLITARY EXPERIMENTS ihren letzten Song des Sets, als ich eine viertel Stunde vor dem geplanten Beginn das Capitol betrete. Dieses Problemchen gab es hier in der Vergangenheit schon des Öfteren und man sollte sich so wie die bereits zahlreich vertretenen Zuschauer eher an der Öffnungszeit orientieren.

 


Nun gut, dann fängt der Abend halt mit THE KLINIK an, eine Band, die ich seit deren Auftritt 2004 auf dem WGT nicht mehr gesehen habe, mir von damals aber noch großartig in Erinnerung geblieben sind. Optisch bieten Marc Verhaeghen hinter den Synthies und Sänger Dirk Ivens passend zum claustrophobischen  Sound ein Bild wie aus einem Horrorfilm, beide treten fast schon traditionell mit bandagierten Gesichtern auf, nur Augen und Mund sind frei. Die recht zahlreich vor der Bühne versammelten Zuschauer werden umgehend von kaltem, stoischen Industrial der alten Schule beschallt. Stumpfe Beats, schleichende monotone Sequenzer, krasse Noise Effekte und schauerliche Shouts von Dirk Ivans sind die Hauptzutaten am Sound der Belgier. Die bekanntesten Stücke, die die Band schon seit Jahren aus der Masse emporheben, fehlen auch heute nicht, „Cold As Ice“,  „Lies“ und vor allem „Moving Hands“ machen den Auftritt durchaus gelungen, aber auch über die 40 Minuten Spielzeit ausreichend lang.

 


Dank des heutigen Auftritts schaffe ich es grade noch so, ein Jahr ohne ein HOCICO Konzert gesehen zu haben, abzuwenden. Wie schon auf den letzten HOCICO Konzerten gesehen, beginnt der Gig mit einem visuell intensivierten Intro, das die Anwesenden auf Hochspannung treibt. Gut dass Sänger Erk und Rasco an den Synth nicht so viel Platz auf der Bühne brauchen, denn die mächtigen Drum Türme für die nachfolgende Band beengen den Aktionsradius doch ganz schön. So bleibt Rasco auch heute eher im Hintergrund, während Erk im Vordergrund den aggressiven Marsch von HOCICO antreibt. Schnelle krachende Beats, wilde Synthies und kreischende Vocals, das sind HOCICO wie sie jeder liebt und genau das wird auch heute wieder in Bestform gezeigt. Unermüdlich shoutet und agiert Erk, treibt permanent das Publikum an und reißt mächtig Kilometer auf der Bühne. Stücke wie das neuere „Where Words Fail Hate Speaks“, aber auch Klassiker wie „Spirit of crime“, „Poltergeist“ oder „Bloodshed“ fügen sich nahtlos aneinander und die Pogomasse in den vorderen Reihen nimmt sich der Songs dankbar an, um den Weihnachtsspeck abzutanzen. Gefällt mir wiedermal richtig gut, HOCICO haben auch nach inzwischen fast 20 Jahren Bandhistorie nichts von ihrer Intensität verloren und machen jeden Konzertbesuch zum Hochgenuss an Electrokrach.

 


Die Umbauphasen sind bis zu diesem Zeitpunkt sehr kurz und scheinen gut organisiert. Und so dauert es auch keine halbe Stunde bis sich das Licht wieder abdunkelt und unter großem Beifall der sich vorn drängenden Menschenmasse, COMBICHRIST die Bühne betreten. Andy hat sich heute auch wieder richtig Mühe gegeben mit seiner imposanter Kriegsbemalung im Gesicht, die der ohnehin schon ausdrucksstaken Persönlichkeit Nachdruck verleiht. In extremer Lautstärke bollern die beiden Drumtürme los und “Shut Up And Swallow“ eröffnet die geballte Ladung an elektronischer Aggression. Andy presst die Shouts mit einer ungemeinen Kraft aus den Lungen und die unzähligen COMBICHRIST – Jünger feiern vom ersten Moment in Form vom ausgelassenen Rempeln und Schubsen ihre Helden ab. Auch „Reign Of Blood“ tut da keinen Abbruch, allerdings beginnt kurze Zeit später die Katastrophe des Abends seinen Lauf zu nehmen. Auf einmal macht der Sound im Capitol schlapp und nur noch die Bühnenlautsprecher lassen sich zum Arbeiten animieren.

Schnell macht die Ursache des Problems im Publikum die Runde, und zwar ist ein Red Bull Getränk vom Balkon auf das Mischpult gefallen und hat die gesamte Innenraumbeschallung lahm gelegt. Von wegen Red Bull verleiht Flügel… Allerdings scheint keiner sich die Mühe zu machen ,der Band die Ursache des Problems mitzuteilen. So rackern sich COMBICHRIST unermüdlich während des Gigs ab, das Problem beim Bühnenequipment zu suchen… aber natürlich ohne Erfolg. So laufen eigentliche Reißer wie „Body Beat“, „Death Bed“ oder „Slave To The Machine“, ohne dsas die ganz große Stimmung im Publikum entsteht. Das ist keine Kritik an der Band, die reißen sich voll den Arsch auf, um das Konzert zu retten, werden aber vom in diesem Moment komplett überforderten Veranstalter im Stich gelassen. Irgendwann ergreift ein Zuschauer die Initiative, erklimmt die Bühne und erklärt mitten im Gig Andy das Problem, der verständlicherweise sofort den Auftritt abbricht.

Daraufhin ist im Publikum natürlich die Laune total dahin, es ist sogar die Rede davon, dass der Headliner des Abends FRONT 242 gar nicht mehr auftreten wird, was aber durch eine Ansage durch den Saal schnell revidiert wird. So dauert es in der Zwischenzeit über eine Stunde bis ein neues Mischpult installiert ist und das Festival mit inzwischen deutlich weniger Zuschauern weiter gehen kann.

 

Der Platz vor der Bühne ist nun schlagartig wieder sehr gut gefüllt, hauptsächlich haben sich nun die ganzen EBM-Heads versammelt, was auf eine nun anstehende durchaus körperlich betonte Tanzveranstaltung schließen lässt. Unter Blitzlichtgewitter betreten nun endlich FRONT 242 die Bühne, die jetzt ziemlich stark von Nebelschwaden überzogen ist. Ist schon imposant, wie die alten Hasen des EBM noch immer abgefeiert werden. Jean Luc De Meyer und Daniel Bressanutti liefern dieses Jahr einen Gig ab, der schon stark an die „Re-Boot“ Zeiten erinnert. Sehr moderne Varianten der Songs wie „Moldavia“, „Tragedy For You“, „No Shuffle“ oder natürlich „Headhunter“ bieten sowohl auf der Bühne ein actionreiches Bild, lassen aber auch die Bewegungsfreude der Zuschauer ziemlich ausarten. Die erste Phase des Konzerts ist bespickt mit vielen der ganz großen Songs der Belgier, danach kehrt aber erst mal etwas Ruhe ein und langsamere Tracks wie „Circling Overland“ sorgen für etwas Beruhigung bevor weitere Tanzflächenreißer wieder für höheres Tempo sorgen. Nicht jede gepimpte Version finde ich sonderlich gelungen. Die Version, die heute von „Body To Body“ gespielt wird, finde ich zum Beispiel total daneben, hätte es nicht an der Projektionsfläche gestanden, hätte ich echt Probleme gehabt den Song zu erkennen.

So geht dann auch der Auftritt von FRONT 242 zu Ende, gleichbedeutend mit dem Christmas Ball und meinem Konzertjahr 2011. Es hätte heute eigentlich alles so schön sein können, wenn nicht der Auftritt von COMBICHRIST so verstümmelt geworden wäre. Aber kann man jetzt leider nicht mehr ändern. Zum Glück sind die Jungs ja nicht grad geizig was Konzertegeben angeht und so bleibt die Hoffnung das Verpasste bald mal wieder nachzuholen. Mein Dank an diesem Abend zollt dem Elmar, der mir diesen Abend in dieser Form ermöglicht hat.
Auf dass dieses tolle Festival noch ewig im Capitol gehalten werden kann! (michi).