REVIEW

BITTERSÜßER NACHTSCHATTEN „Dark Poetry“ (Gothic/Dark Wave Folk)

BITTERSÜßER NACHTSCHATTEN

„Dark Poetry“
(Gothic/Dark Wave Folk)

Wertung: Gut

VÖ: 16.10.2020

Label: STF Records

Webseite: Homepage / Facebook

Mit „Dark Poetry“ legt das Duo Rebecca und Marek ihr Debüt vor. Die Zwei waren in den letzten 10 Jahren als Straßenmusiker unterwegs, um die Menschen mit dunklem Folk zu unterhalten. Der mir vorliegende Erstling scheint mir beeinflusst von Künstlern der NDT, welche Anfang der 90er die schwarze Szene erweiterten. Gerade der, eher selten in den Vordergrund rückende, männliche Sprechgesang erinnert z.B. an RELATIVES MENSCHSEIN. Auch Vergleiche mit ILLUMINATE dürften nicht fehlgehen.

Musikalisch findet die Formation die richtige Mischung zwischen klassischem Instrumentarium und verspielter Elektronik. Dabei erscheint die Musik selten düster, sondern eher verspielt melancholisch. Die Musik dient als gelungene Untermalung der Gedichte. So auch im Opener „Uhrwerk der Zeit“, welches geschickt Harmonie und klangliche Extravaganzen verbindet. Der lieblich anmutende, weibliche Gesang sorgt für verführerische Momente. Die Melange aus ruhiger Erzählung und druckvollen Refrain weiß zu überzeugen, wobei die latent schleppende Melodielinie mit klassischen Elementen des Barock verfeinert wird. Im Gesamtkontext bleibt die minimalistische Eleganz hängen, welche hie und dort mit Finesse und klanglichen Überraschungen aufgewertet wird. Das folgende „Selbstsucht“ lässt durch beginnende Trommeln kurzzeitig ein treibendes Intermezzo erwarten. Aber konträr zum stringenten Text, wohnt dem instrumentalen Dasein eine gewisse Ruhe inne. Der für Narzissten positiv erscheinende Text beherbergt eine leicht satirische Seite, dessen böser Grundton nur auf dem ersten Ohr versteckt ist. „Keine Perspektive“ scheint als moderne Version des No Future der Spätsiebziger/Frühachtziger durchzugehen. Ein düsteres Textungeheuer voller nihilistischen Gedankengut.

Mit „2020“ hat man einen Song, der aktueller nicht sein kann. Er beschäftigt sich mit der momentan grassierenden Corona-Pandemie. „Graue Welt“ beschreibt eine farblose Welt, wobei es gelingt verschiedene Wortspielereien fast unbemerkt in den Text zu integrieren. Jeglicher Hoffnung beraubt und klagend erklingt das, in instrumentaler Hinsicht liebreizende Kleinod „Wo bist du“.

Das Duo versteht es, versteckte Anklagen mit leichter, sozialromantischer Vehemenz in bedrückende Klanglandschaften zu kleiden. Wobei man immer geneigt ist, der Melodie zu folgen. Das Wechselspiel zwischen dezent gesetzten Parolen und umschriebenen, teils der Interpretation freigegebenen Texten wird überzeugend dargeboten. Das emotionale Schlussepos „Asche auf Schnee“ ist ein bedrückendes, mit leiser Wut interpretiertes, Machwerk, welches durch seine elegante Struktur eine wohlige Atmosphäre schafft, die bereits bei den ersten Worten ad absurdum geführt wird. „Ashes to Ashes (Dust to Dust)“ kennen wir aus vielen Songs, hier dient mal ein anderer Untergrund als Bett für die Asche.

Anfangs dachte ich, was für ein blöder Name. Mittlerweile denke ich anders. Die Texte der Solanum dulcamara sind giftig und hängen an musikalischen Stängeln voller Sehnsucht, welche das mahnende, teils verzweifelnde Gedicht in ein Kleid der Harmonie verwandeln. Teilweise erweist sich die Unterlegung als zerbrechlich, ist dabei aber immer mehr als schmückendes Beiwerk. (andreas)